CD
Sorgenkind
HiFi-Klassiker
- „Spannende" Geschichten
W er klassische H iFi-G eräte sein Eigen nennt oder sie gar
sam m elt, ko m m t um ein paar Fakten nicht heru m , die zu
sinnvollen V orsich tsm aßn ahm en führen
M
itte der 80er Jahre gab es eine
Reform der Netzversorgung in
Europa. Die kontinentalen 220
Volt und die britischen 240 Volt sollten
- im Sinne von Europa und der W irt-
schaft - vereinheitlicht werden. Man
einigte sich auf die Mitte: 230 Volt. Für
uns hierzulande bedeutet dies schlicht
und ergreifend, dass bis etwa 1987 gebaute
Geräte für 220 und später gebaute Geräte
für 230 Volt ausgelegt sind. Auch die
Nennspannung stieg auf 230 Volt, wobei
eine gewisse Toleranz von +/- 10 Prozent
durchaus üblich und auch zulässig ist.
Aufgrund der im Mittel um zehn Volt,
also knapp fünf Prozent, erhöhten Wech-
selspannung verschieben sich die Ver-
hältnisse in manchem HiFi-Klassiker in
thermische Grenzbereiche.
H öhere Spannung = Verschleiß
Was es bedeutet, wenn man eine Glüh-
birne mit fünf Prozent höherer oder nied-
rigerer Spannung belastet, dürfte bekannt
sein - die Brenndauer halbiert bzw. ver-
doppelt sich (!).
Nehmen wir einmal an, ein Gerät
„rechne“ aufgrund seines 1982er Bau-
jahres mit nominal 220, bekommt aber
stattdessen dauerhaft knapp 240 und
mitunter sogar 253 Volt: Auch für die
einzelnen transformierten und gleich-
gerichteten Versorgungsspannungen im
Gerät bedeutet das im Einzelfall Stress,
erst recht, wenn man das Alter der Kom-
ponente und aller ihrer Bauteile wie ins-
besondere Elektrolyt- und Tantal-Kon-
densatoren bedenkt. Noch krasser wird
es, wenn die 230 Volt nicht herunter-,
sondern hochtransformiert werden, etwa
bei Röhrenverstärkern und Elektrost-
aten.
Schon aus Gründen der Vorsicht raten
wir seit Jahren dazu, bei älteren Geräten
mit wählbarer Voreinstellung der Span-
nung grundsätzlich den Wert von 240
Volt einzustellen.
Etwaige Einbußen in der Ausgangs-
leistung von Verstärkern durch diesen
Schritt sind vernachlässigbar, aber die
zu erwartende Lebensdauer eines Gerä-
tes wird erfahrungsgemäß aufgrund der
geringeren Wärmeentwicklung mit dieser
„Reserve“ steigen. In Einzelfällen müs-
sen Ruheströme im Verstärker angepasst
werden, was - neben der DC-Offset-Ein-
stellung - ohnehin alle paar Jahre durch
einen Fachmann (!) gemacht werden
sollte, und zwar nach Original-Serviceun-
terlagen, die man meist bei Schaltungs-/
Schaltplandiensten oder selten auch mal
gratis im Netz bekommt. Ähnliches gilt
für Aktivboxen, Elektrostaten sowie
Ionenhochtöner.
Dazu noch ein Gedankenspiel: Wird
ein Gerät längere Zeit - die Rede
ist hier von einigen Jahren - nicht
in Betrieb genommen, müssen die
Antik, aber gut:
Stell-Trafo der
Walter Preussler KG,
Berlin-Neukölln
Elektrolytkondensatoren (Elkos) erneut
„formiert“ werden - und dies auf scho-
nende Weise. Es kommt nicht selten
vor, dass sich etwa eine Endstufe nach
fünf Jahren Keller- oder Dachboden-
tiefschlaf beim blauäugigen Einschalten
mit einem lauten Knall verabschiedet
und die geplatzten Becherkondensatoren
ihren elektrolytischen Inhalt ins Gerät
und auf das gute Sideboard ergießen. Das
ätzt, stinkt und führt neben innerfamili-
ären Konflikten zu teuren Reparaturen,
nicht zuletzt, weil neben Feinsicherun-
gen auch andere Bauteile und Baugrup-
pen ihr Leben dabei aushauchen können.
Man kann es nicht oft
genug sagen: HiFi-
Oldtimer sollten, wenn
möglich, von 220 auf 240 Volt
umgestellt werden
Platzkonzert unerw ünscht
Der professionelle Ausweg, diesen GAU
zu verhindern, ist ein Labor-Netztrafo
oder Stelltrafo, an den man den - nach
Möglichkeit natürlich schon auf 240 Volt
eingestellten - Probanden für die Wieder-
belebung anschließt und dank Trafo erst
einmal mit halber Spannung, also etwa
110 Volt, ein paar Stunden „vorglüht“,
um ihn dann in mehreren Zwischenstu-
fen auf die 230 Volt zu bringen. So ist
die Sterblichkeitsrate von HiFi-Klassikern
zumindest minimiert.
Wer keinen Stelltrafo hat - denn die
sind oft teuer -, kann sich mit einem
preiswerteren US-Trafo behelfen, mit
dem man amerikanische Geräte am euro-
päischen Netz betreiben kann. Auch hier
180 STEREO HiFi-JAHRBUCH 2015
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